Die mit wiederkehrend hoher Intensität gesellschaftlich debattierte Frage nach der Legalisierung mancher sog. „weicher“ Drogen hat kürzlich in einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (BayVerfGH) zur Zulassung von Cannabis im Freistaat eine weitere ablehnende Stimme in der Judikatur gefunden (Urteil des BayVerfGH v. 21. Januar 2016 – Aktenzeichen Vf. 66-IX-15).
Konkret hatten sich die Münchner Richter mit der rechtlichen Zulässigkeit eines Antrags auf ein diesbezügliches Volksbegehren zu befassen. Dieser war im September vergangenen Jahres beim Bayerischen Staatsministerium des Innern et. al. (BayStMI) eingereicht worden. Da das Ministerium den Antrag rechtlich beanstandete, legte es ihn dem BayVerfGH gem. Art. 67 BV i.V.m. Art. 64 I 1 LWG zur Entscheidung vor.
Dass es zu einem solchem Verfahren auf Bundesebene nicht kommen würde, liegt auf der Hand: Entgegen dem rein parlamentarischen Gesetzgebungssystem des Grundgesetzs (vgl. allenfalls Art. 29 GG) kennt das Landesverfassungsrecht Bayerns auch Elemente der direkten Volksgesetzgebung, die etwa in Art. 2 II 1 BV zum Ausdruck kommt. Insbesondere können Bürger des Freistaats – wie vorliegend geschehen – ein Volksbegehren (Art. 74 II-V BV; 63 ff. LWG; §§ 72 ff. LWO) als legislative Initiative anstrengen. Dies kann durch den BayVerfGH am Maßstab der BV und des einfachen Landesrechts überprüft werden, was dem BVerfG etwa versperrt bliebe.
Demgegenüber weist das Gerichts eingangs seiner Entscheidung darauf hin, dass sich sein bundesrechtlicher Prüfungsumfang auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken hat, also allein darauf, offensichtlich gegen Bundesrecht verstoßende Volksbegehren abzulehnen.
Es entkräftet den fernliegenden rechtshistorischen Einwand der Unterstützer des Volksbegehrens, dass die Kompetenzregelungen des GG in Bayern keine Geltung entfalten würden, da sich der Landtag 1949 gegen die Annahme der Verfassung entschieden habe. Das Quorum nach Art. 144 I GG sei nämlich ohnehin erreicht worden: Deklaratorisch erkannte dies auch der Landtag kraft Beschlusses vom 20.5.1949 an. Man stelle sich einmal vor, ein Eckpfeiler der deutschen Verfassungsordnung, ihre NORMSETZUNG, ginge an einem föderalen Glied vorbei und berechtige es zu beliebig von allgemeinen Rechtsgrundsätzen abweichenden Regelungen: Absurd und provokativ!
Neben den vom BayStMI gerügten formellen Voraussetzungen insb. nach Anlage 18 zur LWO (unvollständig abgedruckter Gesetzesentwurf, Nachreichung von Unterschriften im Volksbegehren) rekurriert der BayVerfGH in erster Linie daher zu Recht auf Art. 72 I GG: Da der Bund mit den Regelungen des BtMG, des AMG seine Kompetenz, das Recht der Betäubigungsmittel gem. Art. 74 I Nr. 19 GG ausgeübt hat, entfällt eine Residualkompetenz der Länder zur Gesetzgebung für diesen Bereich.
Die zudem angeführten Straftatbestände in §§ 315c, 316 StGB vervollständigen diese bundesrechtliche Regelungsdichte, die keinen Raum für landesrechtliche Spezialvorschriften lässt. Wenn im Volksbegehren also der Entwurf eines „Bayerischen Hanfsgesetzes“ postuliert wird, kann darin in § 1 I Cannabis nicht etwa als „Nutzhanf“ vom Anwendungsbereich des BtMG ausgenommen werden. Der daran anschließende Versorgungsanspruch für jeden Bürger (§ 2 I des Entwurfs) hört sich fast so an, als bewerte man Cannabis als Teil der Daseinsvorsorge, als lebensnotwendiges Bedarfsgut.
Jedenfalls lässt der BayVerfGH minutiös jeden Aspekt des „Hanfgesetzes“ am entgegenstehenden Bundesrecht scheitern. Er enthält sich mit dieser rein kompetenzrechtlichen Betrachtung nach dem Verfassungsrecht jedoch (bewusst?) der rechtspolitischen Diskussion um die zur Begründung vorgebrachten Normen.
Anders das Sondervotum eines Richters: Dieser sieht in der Strafnorm des § 29 BtMG einen Grundrechtsverstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 I i.V.m. 2 I GG) sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 III GG). Eine solche Argumentation zeigt, warum sich der BayVerfGH mehrheitlich – und methodisch geschickt – um die materielle Streitfrage der Zulassung von Cannabis „gedrückt“ hat.
Dass das BtMG nämlich stark in der Kritik bez. dieses Punkts steht, zeigt eine Petition von 122 renommierten Strafrechtsprofessoren (Petition des Schildower Kreises), die auf die praktischen Probleme einer Kriminalisierung des Cannabis-Besitzes usw. hinweist. Organisierte Kriminalität, überschießende Repression und ein blühender Schwarzmarkt (auch im Ausland) seien die Folge.
Meines Erachtens ist diese offene drogenpolitische Frage vielmehr eine Frage der Gewerbsmäßigkeit: Wer aus „weichen Drogen“ Profit schlagen möchte und seine Kunden systematisch ausnutzt, ist zu bestrafen. Wer hingegen (insb. aus medizinischen Gründen) unter staatlicher Kontrolle eine für den privaten Konsum vertretbare Menge der betroffenen Rauschmittel freiverantwortlich erwirbt und sogleich nutzt, ist allenfalls an gewisse ärztliche Zwänge gebunden, und nur ausnahmsweise Straftäter.